Dienstag 21.04.2020 18 Uhr
Prof. Dr. Bettina Kohlrausch
Ist die AfD die neue Partei der Arbeiter*innen?
Eine empirische Überprüfung
In seiner autobiographischen Analyse zum Erfolg des französischen 'Front National' konstatiert
Didier Eribon: „Was aus der politischen Repräsentation und den kritischen Diskursen verschwand,
war nicht nur die Arbeiterbewegung mit ihren Kämpfen und Traditionen, es waren die Arbeiter
selbst, ihre Kultur, ihre spezifischen Lebensbedingungen, ihre Hoffnungen und Wünsche."
Diese Aussage impliziert die weit geteilte Analyse, dass rechtspopulistische Parteien die „neuen
Arbeiter*innenparteien“ sein. Sie füllten, so das Argument, damit eine Lücke, die traditionelle
Sprachrohre der Arbeiter*innenschaft, z.B. sozialdemokratische Parteien, hinterlassen hätten.
Die Vorlesung prüft diese These empirisch: Fühlen sich Arbeiter*innen sozial und kulturell nicht
repräsentiert und wählen sie deshalb rechtspopulistische Parteien? Und - wer sind im Jahr 2020
überhaupt Arbeiter*innen?
Bettina Kohlrausch ist Proffesorin für Bildungssoziologie an der Universität Paderborn. Zuvor war sie Gastprofessorin am deutschen Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung in Hannover. Sie hat sich in den vergangenen Jahren der empirischen Erforschung rechtspopulistischer Wahlerfolge gewidmet. Dabei spielten vorallem zwei Perspektiven eine besondere Rolle: 1) Rechtspopulismus als Ausdruck einer tiefgreifenden Krise der repräsentativen Demokratie. 2) Rechtspopulismus als Reaktion auf eine wachsende soziale und kulturelle Spaltung innerhalb von Nationalstaaten.
Publikationen: Kohlrausch, B. (2017): 'Einstellung und Lebenslage – eine Spurensuche nach Gründen für rechts-populistische Orientierung unter besonderer Berücksichtigung von Gewerkschaftsmitgliedern.'' Arbeitspapier der Hans-Böckler-Stiftung (zusammen mit Richard Hilmer, Rita Müller-Hilmer, Jérémie Gagné)
Webpage: Bildungssoziologie - Universität Paderborn
Dienstag 05.05.2020 18 Uhr
Prof. Dr. Wilhelm Heitmeyer
Autoritärer Nationalradikalismus.
Gesellschaftliche Ursachen deutscher Zustände
Die Rechtsentwicklungen in Deutschland und Europa haben eine lange Vorgeschichte. Dazu müssen Zusammenhänge zwischen kapitalistischer Ökonomie, sozialer Desintegration und politischer Demokratieentleerung aufgezeigt werden. Die deutschen Zustände können in keiner Weise mit dem verharmlosenden Begriff des Rechtspopulismus angemessen gekennzeichnet werden. Es hat sich ein Autoritärer Nationalradikalismus herausgebildet, der auf die De-Stabilisierung gesellschaftlicher und politischer Institutionen zielt und dabei schon erfolgreiche Schritte gegangen ist.
Wilhelm Heitmeyer ist Senior Research Professor am Institut für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung (IKG) das er 1996 an der Universität Bielefeld gegründet hat. Seit den 1980er Jahren führt er empirische Forschungen zu den Themen Rechtsextremismus, Gewalt- und Fremdenfeindlichkeit durch. Seit 1990 gibt er die Langzeituntersuchungen zur 'Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit' heraus. Er leitet aktuell eine Reihe von Forschungsprojekten – u.a. das DFG-Projekt: Soziologische Analysen des bewegungsförmigen Rechtsextremismus.
Publikationen: Heitmeyer, W. (2018): 'Autoritäre Versuchungen'. Frankfurt a.M.: Suhrkamp.
Institut für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung
Dienstag 19.05.2020 18 Uhr
Georg Seeßlen
Der neue Faschismus – und der Weg dorthin.
Eine kulturpolitische Einordnung
Dass Europa, die westliche Welt, das „Abendland“ nach rechts rückt, stark nach rechts, über einen (vielleicht „zyklischen“) Rechtsruck hinaus zu einer in die Tiefe der politischen Systeme, der Kultur und der Biographien reichende Faschisierung erlebt, ist wohl von niemandem mehr ernsthaft zu leugnen. Wir haben, wie es scheint, die „Schwelle zum autoritären Jahrhundert“, von der Ralf Dahrendorf schon im Jahr 1997 sprach, schon überschritten und die Chancen einer Umkehr stehen eher schlecht. Wie das kam über’s Land, das ist die bange Frage. Und wer oder was ist Schuld daran? Natürlich: Schuld an der Faschisierung eines Systems, eines Kontinents, eines Landes, einer Region, eines Milieus sind die Subjekte der Faschisierung, die Faschisten eben. Sie wenden taktische, strategische, kulturelle, militante, semantische und mediale Methoden an, um ihre Ziele zu erreichen. Und die erste Erklärung für ihr Handeln ist einfache: Weil sie es können. Aber wer oder was hat für sie so ideale Bedingungen geschaffen, wer oder was hat ihnen den Weg geebnet, wer oder was hat die Gegenwehr so geschwächt, wer oder was hat ihnen, willentlich oder nicht, Material, Phantasie, Energie übertragen, wer oder was folgt so bereitwillig ihrer Agenda, wer oder was verwandelt sich da so blitzrasch von einem bürgerlichen in ein faschistisches Subjekt? In diesem Beitrag geht es eben darum, die Bedingungen der Faschisierung zu verstehen, ohne damit irgend eine Relativierung von Verantwortung vorzunehmen.
Im Kern dieses Versuches steckt ein Modell, das drei sehr unterschiedliche Ebenen des Lebens miteinander in Verbindung zu setzen versucht:
1) Die Struktur von politisch-ökonomischen Systemen, das heißt die von außen, von innen, von oben wie von unten gegebenen Parameter, die als Regel, Gesetz, Gewohnheit, Gebrauch, Verordnung etc. die Beziehungen untereinander im allgemeinen, die von „Regierung“ und „Gesellschaft“ im besonderen regelt. Man könnte es das System der geschaffenen Fakten nennen. Auch die Demokratie ist eine solche Struktur, die Instrumenten (das Parlament, das Verfassungsgericht, den Ausschuss, die Partei, die Wahl etc.) und Methoden (die Transparenz, die Gewaltenteilung, das checks and balances, der Wahlkampf etc.) eine Form gibt.
2) Die Kultur eines Systems, das heißt, die selbst erzeugten und verwalteten, zensurierten oder liberalisierten Weisen, die Grundlagen des Systems zu vermitteln, zu legitimieren, zu deuten, zu kritisieren, in den Diskurs und in die Dispositionen zu bringen, Sprachen, Erzählungen, Begriffe und Bilder zum Leben in einer solchen Struktur zu erzeugen. Und
3) die Biographien, das heißt die Erzeugung von Lebensplänen und realistische Anpassung derselben an die Gegebenheiten, subjektive Spielräume, „Meinungen“, Interessen und nicht zuletzt auch Zufälle. Und, damit nehmen wir eine Spur, die einst Klaus Theweleit mit seinem bahnbrechenden Werk „Männerphantasien“ verfolgte, wieder auf, eine ökonomisch, politische, intellektuelle, familiäre und nicht zuletzt sexuelle Biographie, die auf Übertragungen aus ist: So wie ökonomisches sich als politisch verkleiden mag, so verkleidet sich sexuelles als ideologisch.
Um die Entstehung des neuen Faschismus zu verstehen, geht es wohl darum, die drei Ebenen miteinander zu verbinden. Es ist etwas in der Struktur, es ist etwas in der Kultur und es ist etwas in den Biographien, was eine Faschisierung von Denken, Sprechen und Handeln begünstigt. In diesem Beitrag geht es darum, die verschiedenen Aspekte miteinander zu verbinden. Bevor man nützliche Antworten erhält, muss man die richtigen Fragen stellen.
Georg Seeßlen ist freier Publizist, Feuilletonist, sowie Film- und Kulturkritiker. Zudem hat er als Dozent an verschiedenen Hochschulen im In- und Ausland gearbeitet. In Artikeln und Hörfunk-Features für verschiedene Zeitungen und Medienanstalten setzt er sich mit aktuellen politischen Ereignissen, Prozessen und gesellschaftlichen Entwicklungen auseinander. Gemeinsam mit Markus Metz hat er verschiedene Bücher zu medien- und technologiepolitischen Themen, kapitalistischer Ökonomie und Rechtspopulismus veröffentlicht.
Seeßlen, G.; Metz, M. (2018): Rechtsruck – Skizzen zu einer Theorie des politischen Kulturwandels. Berlin: Bertz-Fischer.
Seeßlen, G.; Metz, M. (2017): Freiheit und Kontrolle – Die Geschichte des nicht zu Ende befreiten Sklaven. Frankfurt a.M.: Suhrkamp.
Dienstag 09.06.2020 18 Uhr
Timo Daum
Was ist Digitaler Kapitalismus?
Über Daten, Algorithmen und User
Wir haben in den letzten zehn Jahren den Aufstieg von Online-Unternehmen in die Riege der
mächtigsten, finanzstärksten und profitabelsten Unternehmen der Welt erlebt. Mit ihren
Dienstleistungen und Geschäftsmodellen rund um Algorithmen und Daten haben sie unsere Welt
grundlegend verändert und eine neue gesellschaftliche Betriebsweise hervorgebracht: den
Digitalen Kapitalismus. Dessen Hauptaugenmerk ist nicht mehr auf die fabrikmäßigen Herstellung
von Waren und deren Verkauf gerichtet, sondern auf die Organisation des Zugangs zu Wissen und
Information. In der digitalen Ökonomie der Plattformen werden Algorithmen zum entscheidenden
Produktionsmittel, Daten zum zentralen Rohstoff und Information zur Ware Nummer eins.
Timo Daum ist Physiker und arbeitet als Hochschullehrer im Bereich Wirtschaft
und Informationstechnologie. Als Autor widmet er sich der Analyse und Kritik des Digitalen
Kapitalismus. Sein Buch „Das Kapital sind wir. Zur Kritik der digitalen Ökonomie“ wurde mit dem
Preis „Das politische Buch 2018“ der Friedrich-Ebert-Stiftung ausgezeichnet.
Daum, T. (2017): 'Das Kapital sind wir. Zur Kritik der digitalen Ökonomie'. Hamburg: Edition Nautilus
Webpage von Timo Daum
Dienstag 09.06.2020 18 Uhr
Dr. Rainer Mühlhoff
Über Twitter, Trump und Trolle.
Affekttheorie des neuen Autoritarismus
Fake News und Echokammern, Shitstorms und virale Videos, die zum Klicken, Liken, Teilen bewegen –
ohne Zweifel ist die vernetzte Gesellschaft nicht nur eine dialogische Plattform für den
zwanglosen Austausch der besseren Argumente. Mediale Logiken heute sind affektgetrieben, und sie
treiben auch selbst Affekte: Sie stiften neue Formen des sozialen Umgangs und der politischen
Artikulation, die zunehmend zur Signatur unserer Zeit werden. In diesem Vortrag werde ich einen
affekt- und subjekttheoretischen Ansatz für die kritische Analyse neuer autoritärer Politikstile
skizzieren. Der Ansatzpunkt wird sein, politische Artikulationsformen in einem Wechselspiel
affektiver Sensitivitäten der Individuen und medientechnologischer Bedingungen von
Öffentlichkeit zu thematisieren. Am Beispiel aktueller rechspopulistischer Bewegungen werde ich
argumentieren, dass in diesem Zusammenspiel zur Zeit eine politische Artikulationsform zutage
tritt, die als destruktiv-zynischer Autoritarismus bezeichnet werden kann.
Rainer Mühlhoff ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Excellence Cluster
'Science of Intelligence' an der Technischen Universität Berlin und assoziierte Mitglied des
Sonderforschungsbereich 1171 'Affective Societies' an der Freien Universität Berlin. Seine
Schwerpunkte in Forschung und Lehre liegen im Bereich Affekttheorie, Ethik der
Mensch-Maschine-Interaktion, kritische Sozialtheorie der digitalen Gesellschaft, Technik- und
Medienphilosophie. Er studierte Mathematik, theoretische Physik, Philosophie und gender studies
in Heidelberg, Münster, Leipzig und Berlin.
Publikationen: Mühlhoff, R. (2019): 'Affekt Macht Netz. Auf dem Weg zu einer Sozialtheorie der
digitalen Gesellschaft'. Bielefeld: transcript.
rainermuehlhoff.de
Dienstag 07.07.2020 18 Uhr
Anna-Verena Nosthoff & Felix Maschewski
„From Mad Men to Math Men?“
Der Fall Cambridge Analytica im Lichte
kybernetischer Gouvernementalität
Der Vortrag untersucht das Zusammenwirken der Firmen Cambridge Analytica und Facebook als Beispiel einer „Politik der Netzwerkaffekte“ auf Basis einer besonders eindringlichen Form »kybernetischer Gouvernementalität«. Dabei treffen vor allem, so die These, zwei sich wechselseitig bedingende Logiken aufeinander: Einerseits Facebooks Selbstverständnis als vermeintlich „neutrale“ Plattform, der es, klassisch-kybernetisch, weniger um inhaltliche Ausrichtung oder Moderation, sondern vielmehr um die möglichst reibungslose Optimierung (und Ökonomisierung) der Kommunikationsströme geht; andererseits die dezidiert rechtspopulistische, auf klassische „Freund-Feind“-Dichotomien konzentrierte Informationsagenda Cambridge Analyticas, die sich jedoch, so wird zu zeigen sein, so nahtlos wie programmatisch in die Plattformlogik Facebooks einfügt.
Der Vortrag nimmt dabei zunächst die „soziale Infrastruktur“ Facebook als Dispositiv der Aktivierung, d.h. das hier wirksame psychopolitisch wie datenökonomisch grundierte Zusammenspiel von Anreizen, Affekten und Anstößen (engl. nudges) in den Blick. In diesem Konnex wird aufgezeigt, wie die Plattform eine ganz eigene „Regierungskunst“ und sich selbst zu einem gouvernementalen Unternehmen entwickelt hat, das, ganz im Sinne Foucaults Begriff der Macht, „Anreize [bietet], verleitet, verführt, erleichtert oder erschwert“ – kurz: technologisch „auf Handeln gerichtetes Handeln“ einrichtet. Vor diesem Hintergrund soll anschließend nicht nur untersucht werden, wie die von Facebook annoncierte Programmatik von Agenturen wie Cambridge Analytica – hier wird auch Bezug auf die (Un-)Wirksamkeit der Methoden (Stichwort: micro-targeting, „dark posts“ etc.) genommen – bespielt wurde. Auf einer Metaebene wird auch zu diskutieren sein, welche Konsequenzen die konsumtive Plattformlogik und die hier avisierte Affizierung von „Netzwerkaffekten“ für das Politische und nicht zuletzt die Öffentlichkeit – auch im Sinne eines möglicherweise neuen, digitalen Strukturwandels – selbst zeitigt. Letztlich zeigt sich vor allem, dass digitale Plattformen/Technologien entgegen dem insbesondere im Silicon Valley populären Narrativ von einer technologischen Neutralität keineswegs als bloße Mittel, sondern immer auch als politische Machtinstrumente zu verstehen sind.
Anna-Verena Nosthoff ist Philosophin, politische Theoretikerin und Dozentin am Fachbereich Politikwissenschaften der Universität Wien sowie an der FU Berlin. Zuletzt war sie Research Fellow am Weizenbaum-Institut für die vernetzte Gesellschaft. Sie forscht v. a. zur Kybernetisierung des Politischen und zur Genealogie der Kybernetikkritik. Als Essayistin schreibt sie zudem regelmäßig u. a. für das Feuilleton der NZZ, FAS, Spex, Berliner Gazette und Die Republik. Bisherige Veröffentlichungen insb. zu Adorno, Agamben, Anders, Beckett, Levinas sowie dem Zusammenhang zwischen Digitalisierung und Demokratie sind in diversen internationalen Journals (u. a. Thesis Eleven, Cultural Politics, Culture, Theory & Critique) und Sammelbänden erschienen. Ihr Buch Die Gesellschaft der Wearables (geschrieben mit Felix Maschewski) ist 2019 bei nicolai Publishing & Intelligence erschienen.
Felix Maschewski ist Kultur- Literatur- und Wirtschaftswissenschaftler sowei Dozent an der FU Berlin. Er ist Mitglied des PhD-Nets »Das Wissen der Literatur« der Humboldt Universität zu Berlin/Princeton University und wissenschaftlicher Mitarbeiter des Instituts für Wirtschaftsgestaltung (Berlin). Sein Buch »Die Gesellschaft der Wearables« (geschrieben mit Anna-Verena Nosthoff) erschien 2019 bei Nicolai Publishing and Intelligence. Neben akademischen Publikationen schreibt er regelmäßig u.a. für die Neue Zürcher Zeitung (Feuilleton), FAS, Die Republik, SPEX, Hohe Luft.
Nosthoff, A.; Maschewski, F. (2019): “Netzwerkaffekte. Über Facebook als kybernetische Regierungsmaschine und das Verschwinden des Subjekts,“ in: Breljak, Anja, Mühlhoff, Rainer and Slaby, Jan: „Affekt Macht Netz. Auf dem Weg zu einer Sozialtheorie der digitalen Gesellschaft,“ Bielefeld: transcript, pp. 29-54.
academia.edu/AnnaVerenaNosthoff
academia.edu/FelixMaschewski
Impressum
on data driven armament } podcast series on the spread of
weaponsgrade communication technologies
Website:
Thorben Mämecke [Web] [eMail]
Leo Stelten
SprecherInnen:
Ewa Rataj
Daniel Dietrich
Technische Bearbeitung:
Christian Jung
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